Neil Diamond
50 Year Anniversary World Tour
26.09.2017, Barclaycard Arena, Hamburg
Ich war dreizehn Jahre alt und betrat mit klopfendem Herzen den Schallplattenladen im Abendrothsweg 76. Dem Verkäufer, in der Erinnerung eine exakte Kopie des TV-Helden Jason King, stammelte ich etwas von „emma säd“ vor, entledigte mich meiner sauer verdienten 5.-DM und fuhr mit dem Fahrrad als stolzer Besitzer meiner allerersten selbsterworbenen Schallplatte nach Hause: „Neil Diamond – I Am … I Said“. Mit dieser 45er-Single fing alles an und diese Leidenschaft für Schallplatten und Musik hat bis heute gehalten. Wenn das nicht Grund genug ist, Herrn Diamond im Konzert zu besuchen?
Auf dem Weg vom Parkplatz in die Arena wurde mir dann erst so richtig klar, auf was für ein Konzert wir uns heute eingelassen hatten. Der Großteil des Publikums schien mindestens im gleichen Alter wie der Künstler zu sein und damit waren wir bei weitem nicht die ältesten Zuschauer. Entsprechend war auch die Halle voll bestuhlt und (damit hatte ich gar nicht gerechnet!) fast ausverkauft!
Pünktlich um 20:00 Uhr kamen die Hinweise, „man möge die Plätze einnehmen, Herr Diamond würde gleich die Bühne betreten und das Licht werde gelöscht“.
Nachdem die Band die Bühne betreten und das Intro angestimmt hatte, kam der Mann auf die Bühne, der seit mehr als 50 Jahren Musikgeschichte geschrieben hat. Der Bart grau, der Gang bereits etwas schleppend und die Stimme vielleicht nicht mehr ganz so geschmeidig, wie man es von den Schallplatten noch gewohnt ist.
Trotzdem: Neil Diamond beeindruckt mit seiner Ausstrahlung, der Routine eines großen Entertainers und der letztlich immer noch angenehm einschmeichelnden Stimme.
Jeder Song an diesem Abend beweist, wie prägend er als Pop-Komponist war (und ist?) und wieviele Songs man von ihm kennt. Vielleicht nicht immer in seiner Interpretation, sehr häufig wurden seine Songs durch andere Musiker (u.a. Monkees, Deep Purple, Roy Orbison, Elvis Presley, Frank Sinatra, Shirley Bassey, Harry Belafonte, Engelbert Humperdinck, Julio Iglesias, Tom Jones, Tina Turner, UB40 oder Johnny Cash) erst richtige Klassiker.
Neil Diamond spielt sie heute (fast) alle. Begleitet wird er dabei von einer absoluten Top-Band, die, wenn ich mich richtig informiert habe, ihn teilweise schon seit Jahrzehnten begleitet. Das sagt auch viel über diesen Musiker aus.
Höhepunkte? Wo soll ich anfangen? Jede Menge Klassiker, darunter das gefühlvolle „Play Me“, während „Beautiful Noise“ und „Forever In Blue Jeans“ die Stimmung richtig anheizen. Dazu gibt es Auszüge von „Jonathan Livingston Seagull“ und einen Rückblick auf sein berühmtestes Live-Album „Hot August Night“ von 1973!
Für richtige Gänsehautmomente sorgen die Filmaufnahmen bei „In My Lifetime“, die ihn beispielsweise beim Tanz mit Lady Di zeigen, und „Brooklyn Roads“ das vor allem mit sehr schönen Kindheits- und Jugendbildern bzw. -filmen angereichert wird.
Trotzdem ist das keine rührselige „damals war alles schöner“-Show, dafür gibt es keinen Grund – schließlich ist Neil Diamond ein Entertainer, der seinem Publikum seine großen Hits präsentieren will. Das wird besonders bei „Red Red Wine“ oder auch „Solitary Man“ deutlich.
Das Publikum, insbesondere die Reihen direkt vor der Bühne, jubeln dankbar über fast jeden Song, es gibt reihenweise „standing ovations“ und als gegen Ende des Abends die Songs etwas flotter werden (ich habe ganz bewußt nicht „rockiger“ geschrieben), gibt es für die Zuschauer im Innenraum kein Halten mehr und viele Paare fangen an zu tanzen… natürlich „zusammen“.
Das ist dann doch ziemlich nahe dran am Schlager! Trotzdem: dieses Konzert ist für mich in erster Linie Ausdruck von Neil Diamonds Könnerschaft im Songwriting. Im Alter von 25 hat er bereits einen Song wie „Solitary Man“ geschrieben, der den Anschein erweckt, als spräche ein weitaus älterer Mann! 51 Jahre später singt dies tatsächlich ein weitaus älterer Mann, und das Lied ist immer noch frisch und eindrucksvoll.
Mein persönlicher Höhepunkt des Abends kommt dann kurz vor Ende der Show: „I Am … I Said“! Sparsame Instrumente und Neil Diamond greift nochmal zur Gitarre! Das war der Grund, weshalb ich diesen Musiker wenigstens einmal im Leben live sehen wollte! Und es hat sich gelohnt…
Nach etwas über zwei Stunden (ohne Pause) und der ausgelassenen Version von „Sweet Caroline“, gefolgt von „Cracklin‘ Rosie“ und „Brother Love’s Traveling Salvation Show“, findet eine Show ihren gebührenden Abschluss, die das geboten hat, wofür Neil Diamond seit Jahrzehnten berühmt ist: gutes Entertainment.
Setlist:
- In My Lifetime
- Cherry, Cherry
- You Got to Me
- Solitary Man
- Love on the Rocks
- Play Me
- Song Sung Blue
- Beautiful Noise
- Jungletime
- Dry Your Eyes
- If You Know What I Mean
- Forever in Blue Jeans
- You Don’t Bring Me Flowers
- Red Red Wine
- I’m a Believer
- Brooklyn Roads
- Pretty Amazing Grace
- Be
- Lonely Looking Sky
- Skybird
- Jazz Time
- Crunchy Granola Suite
- Done Too Soon
- Holly Holy
- I Am … I Said
- Sweet Caroline
- Cracklin‘ Rosie
- Brother Love’s Traveling Salvation Show
Mit Neil Diamond auf Zeitreise
Zuerst ist nur ein Finger zu sehen - der nach oben gestreckte Zeigefinger von Neil Diamond. Auf einer Hebebühne stehend, kommt der 76-jährige Sänger langsam aus dem Bühnenboden gefahren. Den Arm immer noch in der Luft. Eine Geste, die Neil-Diamond-Fans aus vergangenen Tagen von ihm kennen. Genau so stand der US-Amerikaner in den 70er-Jahren in Los Angeles, New York oder Sydney auf der Bühne. Und nun reckt er in der fast ausverkauften Arena im Hamburger Volkspark wieder den Arm nach oben, als wolle er sagen: "Seht her, ich kann es noch!" Und tatsächlich: Er kann sie noch, die alten Hits wie "Solitary Man", "Red Red Wine" oder "Beautiful Noise".
Die Stimme ist geblieben
Mit seiner Welttournee feiert Neil Diamond - begleitet von einer zwölfköpfigen Band und zwei Sängerinnen - sein 50-jähriges Bühnenjubiläum. Dass er bereits seit fünf Jahrzehnten auf der Bühne steht, ist dem Sänger und Komponisten durchaus anzumerken: Er bewegt sich vorsichtig, fast hölzern, jedem seiner Schritte ist anzusehen, dass ihn diese Beine schon 76 Jahre durchs Leben tragen.
Trotzdem bleibt er in Bewegung, läuft immer wieder vom linken zum rechten Bühnenrand und zurück, wippt mit dem Fuß, deutet Tanzschritte an. Und wer die Augen schließt, der sieht immer noch den jungen Künstler vor sich, denn Neil Diamond ist zwar älter geworden, seine Stimme aber ist geblieben.
In alte Zeiten zurückversetzt
Seine Fans sind dem weltweit erfolgreichen Musiker, der in seiner Laufbahn 130 Millionen Alben verkauft hat, ebenfalls treu geblieben. Im Hamburger Publikum sitzen viele Menschen, die zu den Pop-Rock-Songs mit Country-Einschlag von Neil Diamond in ihrer Jugend oder im jungen Erwachsenenalter getanzt haben. An diesem Abend tanzen sie wieder, bei einigen Liedern zieht es die Zuschauer von ihren Stühlen.
Bei dem von Diamond für die Monkees geschriebenen Titel "I'm A Believer" zum Beispiel oder bei "Song Sung Blue" bleibt niemand still sitzen. Fast alle klatschen und singen mit und bewegen sich zur Musik. Es ist für viele eine kleine Zeitreise in die Vergangenheit - in die eigene und in die von Neil Diamond. Denn auf der Leinwand über der Bühne sind immer wieder Fotos aus seiner Jugend und seiner Kindheit zu sehen.
Zwei Stunden ohne Pause
Die Zuschauer bekommen einiges geboten: Volle zwei Stunden steht der Sänger ohne Pause auf der Bühne. Nur einmal kurz setzt er sich während seines Auftritts hin, ansonsten singt er die ganze Zeit, ist immer in Bewegung. Eine Leistung, die selbst deutlich jüngeren Musikern viel abverlangen dürfte. Diamond wirkt während des Konzerts dankbar, fast gerührt. Immer wieder verbeugt er sich vor dem Publikum, bedankt sich für den häufigen Applaus.
Bis zum Ende bleibt er den Zuschauern noch einen seiner erfolgreichsten Songs schuldig: "Sweet Caroline" spielt er als Zugabe - und nun singen wirklich alle mit. Am Ende stellt sich Neil Diamond wieder auf die Hebebühne und fährt nach unten. Das Letzte, was an diesem Abend von ihm zu sehen ist, ist dieser eine Finger. Der Zeigefinger, der beweist, dass er es noch kann.
Vermisst bei Neil Diamond: das Charisma von früher
Quelle: oeh / Hamburger Abendblatt vom 28.09.2017
Der legendäre Musiker wird bei seinem Konzert in der Barclaycard Arena zum Bühnenjubiläum aber trotzdem gefeiert.
Hamburg. Die 50 im Hintergrund der Bühne sagt es klar und deutlich. Hier wird gleich ein Jubiläum gefeiert: 50. Bühnenjubiläum. Der Jubilar kam 1941 im New Yorker Stadtteil Brooklyn zur Welt, seinen ersten Hit landete er 1966 mit "Solitary Man". Als Neil Diamond aus dem Bühnenhintergrund nach vorn geht, wo seine akustische Gitarre erleuchtet wird, erhebt sich das Publikum in der fast ausverkauften Barclaycard Arena und spendet ihm einen warmen Begrüßungsapplaus. Diamond hängt sich seine Gitarre um und beginnt das zweistündige Konzert mit "In My Lifetime". Begleitet wird er von einer famosen 13-köpfigen Band. Mit einigen der Musiker spielt er seit Jahrzehnten zusammen. Bei den ersten Songs zeigt sich, wie viel Soul in dieser Band und auch in einem Song wie "Cherry, Cherry" steckt.
Klingendes Allgemeingut
Hinter dem New Yorker dreht sich ein überdimensionaler Diamant, der Bilder seines Lebens zeigt. Neil Diamond als Kind mit seinen Eltern, mit der ersten Gitarre, die er als 16-Jähriger geschenkt bekam, als junger Sänger und als gefeierter Entertainment-Star. Mehr als 125 Millionen Platten hat Neil Diamond verkauft, 2011 wurde er in die Rock and Roll Hall of Fame aufgenommen. Seine größten Erfolge datieren aus den 60er- und 70er-Jahren, Neil Diamond hat es geschafft, Songs zu schreiben, die zu klingendem Allgemeingut geworden sind. Fast 30 Nummern hat er für sein Jubiläumsprogramm zusammengestellt, die meisten seiner größten Hits sind dabei. Vermisst werden nur "Kentucky Woman" und "Girl You'll Be A Woman Soon", der in Quentin Tarantinos Film "Pulp Fiction" noch mal groß heraus kam.
Angezogene Handbremse
Immer wieder erheben die Diamond-Fans sich von den Sitzen, klatschen den Takt mit oder wiegen sich zu den Hits wie "Song Sung Blue", "Red Red Wine" und im Zugabenteil bei "Sweet Caroline" und "Cracklin' Rosie". Das Publikum huldigt seinem Idol, doch Diamonds Auftritt löst nicht gerade Euphoriestürme aus. Viele Nummern klingen, als würden sie mit angezogener Handbremse gespielt. Obwohl die Backing Band einen guten Job macht, fehlt es Diamonds Gesang an Magie. Er absolviert den Auftritt mit viel Routine. Vielleicht muss er inzwischen auch seinem Alter Tribut zollen. Die Energie eines Mick Jagger oder eines Roger Waters, die nur unwesentlich jünger sind als er, bringt er jedenfalls nicht mehr aufs Podium. Man kann einwenden, dass Diamond ja auch kein Rockmusiker sei, doch seine Studioaufnahmen haben deutlich mehr Esprit als seine aktuelle Live-Performance.
Die besten Momente hat der Abend immer dann, wenn Diamond Balladen vorträgt. "Solitary Man", später ein Hit für Johnny Cash, gehört ebenso dazu wie "Both Sides Now" aus der Feder von Joni Mitchell oder "Brooklyn Roads", ein Song über den Stadtteil, in dem Diamond aufgewachsen ist und der ihn entscheidend geprägt hat. Doch das Charisma früherer Auftritte fehlt dem Singer-Songwriter an diesem Abend. Es gab schon bessere Jubiläen.