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Der verrückte Bierkutscher

Jethro Tull

16. Juni 2003, Hamburg, Stadtpark Open Air

Es ist Sommer und die alten Recken zieht es wieder hinaus auf die Strasse. In diesem Sinne war es nur konsequent, dass sich die Mannen um Ian Anderson unter dem wolkenlosen blauen Himmel Hamburgs auf eine Reise durch fast 35 Jahre Tull-Musik begaben.

Ich habe gar keine Lust, lange in Superlativen zu schwelgen. Es war tolles Wetter, eine Superakustik, eine perfekt eingespielte Band und, was mir am besten gefiel, obwohl die Karten ein “Very best of..” androhten, spielten Jethro Tull auch neue Stücke von den erst im August und Oktober geplanten neuen Alben. Es gab also keine rührselige “Oldie-Nacht”, sondern eine lebendige Band, die sich und ihre Musik durchaus auch mal auf den Arm nahm. Alles “very british” mit dem speziellen Humor Ian Andersons, oder wie sagte mein Konzertnachbar: “Was macht denn der verrückte Bierkutscher da!”.

Es war ein richtig netter Abend, der allerdings viel zu schnell vorbei war. Für die Weltstadt Hamburg gilt ja ab 22:00 Uhr Nachtruhe, und dazu fällt mir dann gar nichts mehr ein!

Pressestimmen

Immer nur das Beste
Jethro Tull spielten im Stadtpark mit ihrer Vergangenheit
(Quelle: eb, Hamburger Morgenpost v. 18.06.2003)

„Living with the Past", „Leben mit der Vergangenheit" hieß diesmal das Motto der Jethro Tull-Tour. In Hamburg hingen aber auch alte Plakate, die einfach nur "Greatest Hits" versprachen. Wie jedes Jahr. Mag ja sein, dass Bandboss Ian Anderson auch mit 55 noch das Äußere eines höchst exzentrischen Briten pflegt, im Grunde seines Herzens aber ist er ein knallharter Geschäftsmann – und sieht man den Tatsachen erbarmungslos ins Auge, wollen Tull-Fans nun mal kein neues Liedgut hören, sondern die alten Kracher, von "Aqualung" über "Heavy Horses" bis zum obligatorischen Finale "Locomotive Breath".

Und die gab es auch im Stadtpark, mit viel Lebensfreude dargeboten. Was also will man als Kritiker mehr? Die gut 2000 TullFans jedenfalls hatten ihren Spaß, zumal Anderson ja mit dem Zweitrauschebart Martin Barre an der Gitarre ein weiteres Urgestein aus uralten Bandtagen dabeihatte. Mit der Vergangenheit lässt es sich immer noch prächtig leben. Die Kasse klingelt, alle sind glücklich, der Abend war rundum gelungen!

Geht diesem Mann denn nie die Puste aus?
3000 Besucher genossen beim Jethro-Tull-Konzert im Stadtpark
lan Andersons Flötentöne
(Quelle: hpe, Die Welt v. 18.06.2003)

Bis 1968 hatte eine Querflöte in der Rockmusik ungefähr so viel zu suchen wie ein Cembalo im brasilianischen Samba. Dann aber gründete Ian Anderson die Gruppe Jethro Tull und jagte das Silberrohr über alle verfügbaren Verstärker. Puste und Ideen sind ihm seitdem ebenso wenig ausgegangen wie die Fans. Fast dreitausend Besucher erschienen deshalb am Montag im Stadtpark, wo die Kultband in ihrer mittlerweile siebzehnten, seit Mitte der neunziger Jahre bestehenden Formation live zu hören war.

Dass Anderson den Abend mit "Living With The Past“ beginnen ließ, hatte schon was Bekenntnishaftes. Von seiner legendären Haarmähne hat sich der Schotte zwar längst getrennt, vom typischen Sound seiner verrockten Folkmusic nicht ein Haarbreit. Im Vergleich zu früher ist sein Spiel vielleicht nur weniger emphatisch, gewiss auch deutlich ärmer an Nebengeräuschen. Die harten, fast gespuckten Töne, die perkussive Aufgaben erfüllen und den Beat anpeitschen sollen, gibt es aber trotzdem noch in reicher Fülle. Allein die hohe Lage klingt zuweilen so ungewohnt zart und klar, dass sie sich mit den E‑Gitarren‑Kantilenen von Martin Barre ganz aufregend vermischt und klanglich zuweilen kaum mehr davon zu unterscheiden ist. Meist variiert Anderson die Phrasen hemmungslos und verziert sie mit prasselndem Flatterzungen-Feuerwerk.

Wenn er wie beim Instrumental "Pavane" dann mal in Greensleeves‑Seligkeit mit Streichersamples versank, war das auch nicht so schlimm, denn gleich darauf riss er bei „Fat Man", einer Art afrikanischem Steppen‑Blues inklusive Bongos und Autohupensolo, das Publikum wieder aus sanften Träumen. Nachdenkliche Töne schlug er dagegen im kritischen Song "Besides Myself " an, der mit Gitarrensoli im Stile Ry Cooders anhebt und von der Kinderprostitution in Indien erzählt.

Unschuldig-liedhafte Flötenthemen oder verstaubte Folklore mit irischem Einschlag blieben bei diesem Konzert eher die Ausnahme. Eine Ausnahme blieb zum Glück auch der Auftritt des ‘Special Guest’ Masha, den Anderson für den Titel "MB Inst (Count The Chickens)" auf die Bühne bat. Weit unter seinem Niveau verkaufte er für sie einen Song, zu dem die junge Nachwuchskünstlerin in türkischem Flair summte und tanzend die Arme wand. Das ist nun wirklich nicht das Wahre für einen Rocker, der die wildesten Trillerketten und den saftigsten Beat produziert und dabei mühelos Künstler wie Doane Perry (Drums) und Jonathan Noyce (Bass) an die Wand bläst. Gelegenheit dazu sollte er an diesem strahlenden Sommerabend noch genug haben, ohne dass ihm die Puste ausging.

Deep Purple im Stadtpark

Deep Purple

04. September 2002, Hamburg, Stadtpark Open Air

An einem lauen Spätsommerabend trafen sie sich endlich wieder einmal im Hamburger Stadtpark:

Jene, die immer noch nicht aufgeweicht sind von dem täglichen Einheitsbrei norddeutscher Radiosender, die Schlagermusik noch heute genauso schlimm wie damals finden (merke: Wein kann besser werden wenn er altert, schlechte Musik nicht!!), und schließlich alle, die das Original einer Kopie vorziehen.

Puristen werden vielleicht die Nase rümpfen, da es sich bei dem erwähnten „Original“ um Deep Purple handelt, einer der wechselfreudigsten Gruppen der Rockgeschichte. Wer mag bei dieser Band noch von einer Originalbesetzung sprechen?

Deep Purple 2002: Roger Glover, Steve Morse, Ian Paice, Don Airey, Ian Gillan (v.l.n.r)

An diesem Abend stand dann auch als Ersatz für das Gründungsmitglied Jon Lord der neue Keyboarder Don Airey hinter den Tasten.
Die Band legte mit „Fireball“ los wie die sprichwörtliche Feuerwehr und der Funke sprang sofort über. Mochte Ian Gillan mit seinen kurzen, mittlerweile leicht angegrauten Haaren auch wie der ältere Bruder unseres damaligen Kanzlers aussehen, die Power ist noch immer da. Sein absolutes Glanzstück war dann „When A Blind Man Cries“, selten habe ich eine solche Gänsehautinterpretation diesesKlassikers gehört. Dies war jedoch nur ein Höhepunkt unter vielen.

Simpler geht’s nicht! Wenn einem nichts mehr einfällt, dann greift man zu Platitüden. Die Seite musste wohl noch gefüllt werden… In den „Pressetimmen“ schlug man dann ganz andere Töne an 😉

So wie Steve Morse die Erinnerung an Ritchie Blackmore mit jedem Solo immer mehr verblassen lässt, fegten die restlichen Mitglieder mit ihren Soli in dem endlos ausgedehnten „Speed King“ jeden Gedanken an „Altersheim-Riege“ oder „Rentnerband“ von der Bühne. Ian Paice am Schlagwerk oder auch Roger Glover am Bass (so möchte mancher Gitarre spielen! Irre!!) rockten alles in Grund und Boden. Don Airey wurde in die Band integriert und spielte seinen Part sauber runter. Während Steve Morse jedoch vor mittlerweile sieben Jahren mit seinem eigenen Stil aus dem Schatten von Blackmore trat, so muss Don Airey seinen wohl noch finden.

Die Setliste umfasste nahezu sämtliche Klassiker sowie „Ted The Mechanic“ und ein sehr rockiges Instrumental (wenn ich Ian Gillan richtig verstanden habe „Well Dressed Guitarist“) vom für Anfang 2003 geplanten neuen Album BANANAS.
Nach knapp 80 Minuten ging es mit „Smoke On The Water“ in die (leider) einzige Zugabe, die mit „Hush“, „Black Night“ und „Highway Star“ den Stadtpark und die zahlreichen Zaungäste ein letztes Mal erbeben ließ.

Pressestimmen

Bier, Schweiß und Gesang
(Quelle: Ralf Dorschel, Hamburger Morgenpost v. 06.09.2002)

Deep Purple luden im ausverkauften Stadtpark zum »Bierbauch-Tanz«. Was ist das: den linken Arm unbequem nach links abgespreizt, die Hand zur Kralle? Die rechte Hand an die Gürtelschnalle und dann immer rauf und runter? Genau! Die Luftgitarre! Man sah sie im Dutzend, motiviert und dirigiert von Ian Gillan - der Stadtpark mag schon mal elegantere Tänzer gesehen haben, aber selten mehr Luftgitarristen.

Deep Purple waren da, oder genauer: Das, was von der legendären Deep Purple-Besetzung übrig ist. Im vergangenen Februar war Keyboarder Jon Lord zum x-ten Mal dem Kollektiv entwichen, der neue Mann an den Tasten heißt Don Airey und spielte mal bei Rainbow. Die Band ist also nicht ganz auf der Höhe von 1972, aber die Fans sind es ja auch nicht. Hier und da versickern arg schräg gehaltene Biere vor den gleichnamigen Bäuchen im Erdreich. Wir werden alle nicht jünger. Egal, denn was da auf der Bühne geschah, konnte sich sehen (endlich mal wieder eine richtig fette Lightshow im Stadtpark!) und hören lassen. Es waren nicht ganz die alten Deep Purple, aber es waren richtig gute Deep Purple.

Der erste Teil fiel überraschend blueslastig aus, vor allem “When A Blind Man Cries” hatte sich die Begeisterungsstürme wirklich verdient: ohne Rumgeniedel mit viel Gefühl auf den Punkt gespielt - die könnens noch, die alten Säcke. Das Programm war mit 80 Minuten nicht zu lang und clever kombiniert aus neueren Nichtigkeiten und den Klassikern. Ian Gillan (57) war bestens bei Stimme und Kondition, Ian Paice und Roger Glover standen ihm nicht nach. Und Don Airey gelang es, ein ganzes Kapitel Rock-Geschichte wiederauferstehen zu lassen: den Klassik-Rock und sein zentrales Ich-zeigs-euch-allen-gleich-werdet-ihr-staunen-Keyboard-Solo.

Da verfing sich dann Beethoven im Blues, die deutsche Hymne im "Star Wars"-Thema. Das Publikum hatte denn auch wirklich allen Grund zum Staunen. Nein wirklich, man hätte diesen Abend schlechter verbringen können. Deep Purple Anno 2002 sind allen Unkenrufen zum Trotz eine hellwache und jugendlich aufspielende Hardrock-Band.

Smoke on the Stadtpark, Fire in the Sky
( Quelle: Die Welt v. 06.09.2002)

5000 Besucher standen im Stadtpark, rund 1000 lagerten bei Kerzenschein auf dem Rasenstreifen der Allee vor den Toren, als Ian Gillan von Deep Purple als letzten Song vor den Zugaben "Smoke On The Water" anstimmte. Die Band, die einst zeitgleich mit Led Zeppelin den Hardrock erfand, präsentierte sich - trotz der zahlreichen Umbesetzungen ihrer mehr als 25-jährigen Geschichte - praktisch in Bestform. Barfuß und frohgemut gab Ian Gillan den Springinsfeld und Mikrofonständerschleuderer.

Schön, dass die Diskussionen des Abends nicht vor der Bühne, sondern auf ihr stattfanden. Nach einem wundervollen Phrasendialog zwischen Don Airey am Keyboard und Steve Morse an der Gitarre erzählte Roger Glover eine melodische Geschichte auf dem Bass. Anschließend holte Drummer Ian Paice als ältestes Mitglied der Band zu einer seiner unnachahmlichen Rhythmus-Eskapaden aus. Es ist immer wieder verblüffend, wie sehr der Schlagzeuger trotz seiner virtuosen Kollegen den Sound der Gruppe prägt. Ian Gillan, der seinen Instrumentalisten den Raum überlassen hatte, kehrte zurück und wechselte noch einige Koloraturbemerkungen mit der E-Gitarre seines Kollegen Morse. Nun ging es zur traditionellen Sache: Neben "Hush" erklang auch "Speed King". Auf "Child of Time" warteten die Fans, wie in den vergangenen Jahren, allerdings vergeblich. Die neueren Stücke, mit denen das Konzert eröffnet wurde, sind zwar auch ganz schön, jedoch erheblich durchsichtiger konzipiert als die Oldies, setzen bewusster auf die Präsentation der Fähigkeiten der einzelnen Bandmitglieder - wenn du ein Solo hast, will ich auch eins - und sind damit nicht annähernd so urgewaltig und mitreißend wie die Stücke, die jeder auswendig kennt.

Aber zum Einstieg sind sie wunderbar geeignet. Der Jubel der Fans sorgte bei den Deep-Purple-Stars offenkundig für gute und Geberlaune. Allein der piratenkopftuchtragende Roger Glover schleuderte schon während des Konzertes ein gutes Dutzend Plektren ins Publikum. Steve Morse warf am Ende einen ganzen Stapel hinterher und auch Ian Paice trennte sich frohgemut von seinen Sticks. Und die Elektrolichtscheinwerfer zauberten zum letzten Mal für diesen Abend ein "Fire in the sky".

Noch nicht reif für die Rente
(Quelle: Hamburger Abendblatt v. 06.09.2002)

Hamburg - Soundwälle aus der Hammond-Orgel von Jon Lord und exzellente Saitenquälerei von Ritchie Blackmore - dafür steht Deep Purple. Nach mehrfacher Umbesetzung ist seit März diesen Jahres wieder ein neues Gesicht dabei: 34 Jahre nach ihrer Gründung gab die Band mit neuem Keyboarder Don Airey am Mittwoch auf der Freilichtbühne im Stadtpark das letzte Konzert der Deutschland-Tournee.

Barfuß und in weißem Guru-Look kam Sänger Ian Gillan und legte gleich mit "Magic Woman" los. Neben Songs der neueren Alben waren es doch die alten Hits wie "Woman From Tokyo" und "Smoke On The Water", die für Stimmung sorgten. Dazwischen lagen ausgiebige Soli, bei denen vor allem Gitarrist Steve Morse, seit 1994 an Blackmores Stelle, die Führung übernahm. Gelegenheit für Gillan, die Bühne kurz zu verlassen, um auch nach eineinhalb Stunden noch unisono mit Morses Gitarrenläufen in wilden Höhen wettstreiten zu können.

Ein Deep-Purple-Konzert ohne "Child In Time" - eigentlich undenkbar. Die Fans, im Alter ebenbürtig, waren trotzdem zufrieden. Purer alter Hardrock ohne runtergestimmte Gitarren, der keinen Grund zur Rente gibt: The battle rages on.